Tag des offenen Denkmals

Sehr verspätet, aber doch, meine Eindrücke von der Veranstaltung zum "Tag des offenen Denkmals" letzten Sonntag, die der Archäologische Verein Erding ausrichtete. Thema war diesmal "unser" Altenerdinger/Kletthamer Gräberfeld, quasi direkt vor meiner Haustür, und ich bin die gesamte vorherige Woche schon vor Aufregung auf und ab gehüpft.

Ich wurde nicht enttäuscht. Unheimlich viele Besucher, hochinteressante Lektionen in gelebter Heimatgeschichte und ein gut aufgelegter Referent, der mich eigentlich am meisten beeindruckt hat. Man konnte Herrn Krause bei jedem zweiten Satz anmerken, wie ihm heute noch das Herz blutet wegen der vielen Unterlassungssünden aus Zeiten, in denen er noch nicht einmal geboren war.


Womit wir schon mitten drin wären in der Entdeckungsgeschichte, und um die ging's im wesentlichen bei unserer Wanderung zu den Eckpunkten des Gräberfelds. Die ersten Funde wurden schon 1937 gemacht, als in der heutigen Siedlung die ersten Häuser gebaut wurden, und als braver staatstreuer Bürger informierte der Häuslebauer auch sofort die zuständigen Behörden in München. Um mit einem "Ja, ja. Hofgrablege wahrscheinlich" und einem Achselzucken abgespeist zu werden, was ihn ziemlich frustrierte. (Anmerkung meinerseits: offenbar war die Haltung in München gegenüber dem Norden der Stadt damals nicht anders als heute. Erding? Alten-Erding? Kann gar nicht wichtig sein.)

Prompt hielten die Nachbarn, die in den folgenden Jahren weitere Häuser an der Moosinninger Straße errichteten, es nicht für nötig, irgendwelche Funde anzuzeigen - wieso denn, interessiert ja eh' keinen. Und es dauerte, bis 1965 die Liegnitzer Straße gebaut wurde und ein paar spielende Schulkinder (!) Totenschädel und Spathen aus dem Bauschutt der Ausschachtungen zogen, bis sich jemand der Sache annahm. Die Mutter rief den örtlichen Denkmalpfleger an, der setzte binnen eines Vormittags alle Hebel in Bewegung.

Vergeblich. Ein Denkmalschutzgesetz gab es noch nicht, und wegen ein paar alter Knochen und rostiger Eisentrümmer kann man ja nicht die Bauarbeiten unterbrechen. Kost' ja ois a Geld, gelt? - Denkmalschutz und Behörden verständigten sich informell mit der zuständigen Baufirma (O-Ton Harald Krause: "Den Namen der Firma nenne ich jetzt nicht ...") darauf, daß die Archäologen in jedem Fall im kommenden Frühjahr vor Beginn der weiteren Bauarbeiten geholt werden sollten, um das Gelände zu untersuchen.
Und als dann der zuständige Archäologe aus München, voll Vorfreude auf die Grabung, sich im Vorfeld schon einmal mit dem zuständigen Denkmalbeauftragten aus Erding treffen wollte, um sich den Ort anzuschauen, und die beiden am Gräberfeld anlangten, da hatte die Planierraupe bereits eine (O-Ton) "Schneise der Verwüstung" quer durch den ältesten Teil des Gräberfelds gezogen. Die beiden Denkmalschützer konnten den Knochen und Fundstücken, die da auf den Lastern Richtung Kiesgrube gefahren wurden, noch hinterher winken. Da sie keine rechtliche Handhabe hatten, blieb ihnen nichts übrig, als immer dann, wenn die Planierraupe eine Pause machte, in die Baugrube zu springen und zu retten, was zu retten war.

Was auch erklärt, weshalb unter den Funden im Grabungskatalog so viele "Streufunde" gelistet sind. Ich hatte mich schon gewundert.

Letztlich konnte man die Behörden doch bewegen, zunächst einmal andere Bereiche der Gemeinde zu erschließen, um den Archäologen Zeit für ihre Arbeit zu lassen. Dazu waren eine Menge Zeitungsartikel von damals ausgestellt, die im Nachhinein sehr witzig zu lesen sind ("Schulkinder haben beim Spielen so altes Bajuwarenzeugs gefunden" - "och guck mal, könnte ein echt großer Fund sein, vielleicht bis zu hundert Gräber" - "Archäologen gehen von bis zu achthundert Gräbern aus" - "über tausend Bestattungen: Ardeoingas, bedeutendes Zentrum der Region" (Jubel! Mia san wichtig, mia san mia. Hamma ja allerwei scho gwußt!). Letztlich sind es über 2300 Gräber, die erfaßt wurden (Anmerkung: je nach Zählung, da gehen die Angaben, die ich gefunden habe, etwas auseinander).
Der zentrale Bereich des Gräberfelds ist unwiederbringlich zerstört, weswegen wir nie herausfinden werden, wie es um die Siedlungskontinuität im Erdinger Raum denn nun bestellt war - die Funde aus den römischen Gräbern beim Obi, die vor einigen Jahren gemacht wurden, reichen bis ca. 380. Das Gräberfeld setzt ein um 450. Es fehlen gut zwei Generationen.

Hochinteressant auch, mit welcher Selbstverständlichkeit Herr Krause die Frage nach ethnischen Gruppen bejahte (Alemannen - böhmisch/thüringische Gruppe - hunnischer Einfluß (Ostgoten?) - langobardische Gruppe). Da halten sich Archäologen ja meistens sehr bedeckt.

Wie gesagt, die Zahl der Interessierten war groß (eine Dame neben mir: "Da lebe ich jetzt seit zwanzig Jahren hier in der Straße, aber daß hier mal ein Friedhof war, das hab ich nicht gewußt") und der Vortrag sehr vergnüglich. Auch die LH-Darsteller hatten unheimlich qualitätvolle Ausstellungsstücke mit dabei (ich hätte einige Sachen wahnsinnig gerne angefaßt, aber bei meiner Tolpatschigkeit ...), den Nachbau eines in Frankreich gefundenen Helms byzantinischen Typs (wenn ich das richtig verstanden habe - ich und so Haudrauf-Kriegszeugs, nich wahr), Glasgeschirr und eine Tasche aus einem tollen blau-gelben Diamantköper. Boah, ich will auch sowas können!

Gab auch eine Schautafel mit der ungefähren Abfolge der Kleidungsentwicklung (4-Fibel, 2-Fibel, einzelne Scheibenfibel - und bei den Männern finde ich diese vielteiligen Gürtelgarnituren einfach nur neckisch ^^. Schade, daß das so wenige Darsteller tragen.) Uuund: nicht die geringste Erwähnung irgendwelcher vorne offener "Mantel-"kleider bei den Damen. Wollte ich ja nur mal gesagt haben.

Für die Zukunft wurde angekündigt, daß in der Siedlung, am tatsächlichen Ort des Gräberfelds, eine Informationstafel aufgestellt werden soll, und der Gedenkstein, der bis jetzt intelligenterweise ganz woanders angebracht war, nämlich draußen bei der Polizei, soll nach seiner Restaurierung (für die sich Dr.Bauer wohl unheimlich engagiert hat) auch dorthin. Ein neuer vorläufiger Termin für die Eröffnung der vor- und frühgeschichtlichen Abteilung im Museum Erding steht auch im Raum: Mai 2012. Hoffentlich. Und es wird keine neuen Ausstellungsstücke zum Gräberfeld geben, sondern wieder dasselbe Dutzend "permanenter Leihgaben", das die Staatssammlung zur Verfügung stellt. Der Rest lagert alles in München ("natürlich nicht ausgestellt"), aber die Herrschaften in München "rücken kein Stück Rost wieder raus" (O-Ton), das sie mal in ihren Klauen haben.

Zusammenfassend: zwei unheimlich lehrreiche und vergnügliche Stunden mit wahnsinnig gebildeten Leuten, die auch für Laien verständlich Informationen wiedergeben konnten. Mehr davon, bitte!

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