Die Tatze des Heiligen Gallus

(spielt im Februar 789)

Als im Hof der Tumult losbrach, hatte Fulcko gerade erst den Kopf auf das Kissen gelegt und die Augen geschlossen. Zumindest kam es ihm so vor. Ob Gott der Herr eine besondere Absicht damit verfolgte, daß er alle aufregenden Dinge, Geburten ebenso wie Auferstehungen, immer mitten in der Nacht geschehen ließ? - Aber halt! Fulcko hatte heute während der Nacht ja Wachdienst am Tor geschoben. Erst bei Tagesanbruch war er überhaupt auf seinen Strohsack gesunken. Also mußte es inzwischen irgendwann am Vormittag sein.

Folgerichtig stahl sich graues Tageslicht unter seine Lider, als er sie, vorsichtig blinzelnd, einen Spalt weit öffnete. Probeweise lugte er unter dem Saum seines Mantels hervor, der ihm im Winter als zweite Zudecke diente. Was ihn in die Nase biß, war die empfindliche Kühle eines Februartages - eines Tages also, bei dem nichts dagegen sprach, ihn tief vergraben im warmen Bett zu verbringen. Abgesehen von dem Geschrei draußen im Hof, für das es wohl irgendeinen Grund geben mußte. Und weil Fulcko ebenso neugierig und tatendurstig war wie die meisten jungen Männer, rollte er sich nach kurzem Zögern schließlich doch von seinem Lager, schlüpfte hastig in Strümpfe, Hosen und Tunika und wickelte sich den Mantel fest um die Schultern, ehe er gähnend aus dem Haus ins Freie tapste, um eben diesen Grund in Erfahrung zu bringen.

Wenn die Angelegenheit nicht so wichtig war, wie sie sich anhörte, konnte er immer noch hinüber gehen ins Salhaus, wo Waltrada vielleicht das Feuer schon entzündet hatte, und den Tag dort in der wohlig warmen Halle verschlafen.

Obwohl auch dort die Ruhe nicht wirklich garantiert war. Im Haupthaus des Gutes ging es an lebhafteren Tagen zu wie in einem Taubenschlag. Aber im Augenblick schien sich der Taubenschlag in den Hof verlagert zu haben, wo Knechte und Mägde aufgeregt durcheinander hasteten und aufeinander einredeten.

Das Wort, das dabei am lautesten gebrüllt wurde, ließ freilich auch von Fulcko auf einen Schlag alle Müdigkeit abfallen: Bär!

"Ein riesiges Vieh!"

"Alle tot, und überall war Blut..."

"Der Herr stehe uns bei, so nahe bei uns!"

"Den Kopf hat er ihm auch abgerissen..."

Das waren nur ein paar der Satzfetzen, die Fulcko aus dem allgemeinen Durcheinander heraushören konnte. Als Enno, einer der Hörigen des Gutes, an ihm vorbei hastete, griff er schnell zu und packte ihn am Ärmel.

"Was ist passiert?" Der Mann starrte ihn großäugig an.

"Ein Bär", wiederholte er überflüssigerweise. "Drüben in Cheldheim. Er soll alle abgeschlachtet haben..."

"Wen? Unsere Hörigen?"

"Ja... oder die Kühe... oder die Schafe... ich weiß es nicht. Der Bilios ist da und redet mit deinem Onkel!"

In der Tat sah Fulcko den Genannten in der Nähe sein Pferd am Zügel Richtung Salhaus führen. Zumindest er schien dem Raubtier entkommen zu sein. Herr Rodoin, der Anführer der kleinen Garnison, die auf dem Gut Dienst tat, kam dem Neuankömmling schon entgegen, noch ehe dieser die Tür erreicht hatte, und Fulcko schob sich über den Hof, um mitzuhören. Bilios selbst, ein klein gewachsener, eher stiller Höriger Mitte dreißig, der oft gegenüber den Herren für seine unfreien Landsleute die Rolle des Sprechers übernahm, wirkte inmitten der chaotischen Versammlung erstaunlich gelassen. Es waren wohl eher seine beiden Begleiter, die Fulcko in der Nähe des Tores eifrig mit Händen und Füßen gestikulieren sah, die für die rasche Verbreitung des Gerüchts gesorgt hatten.

"Bilios", begrüßte Rodoin ihn schon von weitem. "Was höre ich da? Wirklich ein Bär?"

"Es sieht so aus", nickte der Hörige bedächtig. Er beherrschte das Fränkische flüssig, auch wenn ihm anzumerken war, daß bei ihm zu Hause sicherlich noch jenes mit Brocken uralter Sprachen durchsetzte Latein gesprochen wurde, von dem Fulcko keine Silbe verstand.

"Schon wieder?" Diese Frage stellte Hartger von Molenheim, ein weiterer der fränkischen Vasallen, die sich mit einigen einheimischen Wächtern in den Dienst auf dem Gut teilten. "Was ist los mit den Bären in diesem seltsamen Land? Halten bajuwarische Bären keinen Winterschlaf?" Er strich sich den schwarzen Schnurrbart und lachte zufrieden über seinen eigenen Witz.

Daß Fulcko und Hartger einander nicht mochten, war kein Geheimnis. Aber auch wenn es Fulcko schwer fiel, mit Hartger einer Meinung zu sein: Daß jetzt schon wieder ein Bär gesichtet worden sein sollte, wunderte auch ihn. Erst vor einer guten Woche hatten die Wachen des benachbarten Königsguts in Deoinga einen Bären zur Strecke gebracht. Das war ein junges, noch unerfahrenes Tier gewesen, das wohl versäumt hatte, sich im Herbst einen ordentlichen Winterspeck anzufressen, und das der Hunger deshalb zur Unzeit aus seinem Bau getrieben hatte. Es war in einen Schafstall eingebrochen und hatte etliche Tiere getötet. Die bewaffneten Männer des Guts, unterstützt von den Bauern, hatten den Bären, als er in der nächsten Nacht wiederkam, gestellt und nach einer aufregenden Jagd erlegt.

Von dieser Jagd erfuhr man in Ardeoingas sogleich in allen Details. Die Wachen aus dem Nachbargut waren eigens in die größere Siedlung herübergekommen, um ihren Kollegen dort brühwarm davon zu berichten und in den beiden Tavernen mit ihrem Sieg anzugeben. Ein Sieg, der mit jedem Becher Wein glorreicher wurde und dessen Schilderung Fulcko ebenso gelb vor Neid gelauscht hatte wie alle anderen Männer im Dorf.

Aber nun ein zweiter Bär, der zu früh erwachte? In so kurzer Zeit, und so nahe?

Hartger hatte kaum eine Antwort auf seine spöttische Frage erwartet. Der Unfreie gab ihm trotzdem eine.

"Ich weiß nicht, Herr", gab Bilios seelenruhig zurück. "Als der Herzog noch da war, haben sie es jedenfalls getan."

Au, dachte Fulcko, das hatte gesessen. Es war erst einige Monate her, daß König Karl den bairischen Herzog Tassilo, den früheren Eigentümer dieses Gutes, für abgesetzt erklärt hatte - eine Angelegenheit, die heimlich noch immer in so mancher Seele brodeln mochte. Das fehlte ja gerade noch, daß die Einheimischen nun ihre neuen fränkischen Herren für alle Schicksalsschläge verantwortlich machten, mit denen Gott sie seitdem zu strafen beschlossen hatte. Abergläubisch genug dafür waren sie, soviel stand fest.

"Verlaßt euch darauf, wir werden uns ohne Zögern um die Sache kümmern", versicherte Rodoin denn auch sofort. "Weiß man schon, wo das Tier sein Lager hat?"

Bilios schüttelte den Kopf. "Wir haben nur die Überreste eines toten Schafs und etliche Spuren gefunden. Ich wurde sofort danach zu Euch gesandt."

"Eine Bärenhatz!" brüllte Hartger unterdessen und klatschte begeistert in die Hände. "Endlich geschieht hier einmal etwas! Bringt die Hunde, ruft die Treiber zusammen. Wo sind hier die Jagdspeere? Dieser Bär gehört uns!"

Sein ganzes Gesicht strahlte vor Genugtuung. Ha! Vergangene Woche hatte er vielleicht den Prahlereien dieser Kerle aus Deoinga nur neidvoll zuhören können. Aber nun hatte der Himmel in seiner Weisheit für ausgleichende Gerechtigkeit gesorgt, und man würde mit den Nachbarn gleichziehen können.

Herr Rodoin konnte, seiner Würde und Stellung eingedenk, seine Begeisterung nicht ähnlich offen zeigen, aber dennoch hatte Hartger ihm aus dem Herzen gesprochen. Freilich gab es noch mehr zu bedenken.

"Zuerst sendet Boten an alle umliegenden Dörfer und Gehöfte und warnt sie, damit sie ihre Herden nicht unbeaufsichtigt lassen - wenn der Bär erst einmal gemerkt hat, wie leicht und schnell er Futter in einer Schafherde findet, wird er nicht mehr woanders danach suchen. Es hat kaum geschneit die letzten Tage, bei dem milden Wetter haben gewiß viele Bauern die Schafe aus den Ställen gelassen. Dann laßt im Ort nach Leuten fragen, die Erfahrung als Jagdtreiber und Fährtensucher haben. Auch gute Hunde werden benötigt."

"Lantpert hat abgerichtete Jagdhunde", warf Fulcko ein. "Und die Fagana bestimmt auch. Soweit ich weiß, ist Wettilo gerade wieder oben auf der Burg."

"Ich will diesen zwielichtigen Richter nicht dabei haben", maulte Hartger prompt. "Und von den Fagana auch niemanden. Was haben wir von dem Bären, wenn wir ihn jetzt wieder mit aller Welt teilen müssen?"

Daß er die schöne Jagdbeute für sich allein haben wollte, war sicherlich mit ein Grund für Hartgers Ablehnung. Mindestens ebenso wichtig war, daß ihm sowohl der Richter Lantpert wie auch Wettilo und seine adelige Sippe gehörig gegen den Strich gingen. Immerhin befand sich er, Hartger von Molenheim, nach eigener Meinung hier als Vertreter des fränkischen Königs und damit als Eroberer und neuer Herr des bajuwarischen Gebiets - oder zumindest der paar Meilen im Umkreis, die zu Ardeoingas und seinem Einflußbereich zählten. Daß es dort alteingesessene Autoritäten geben sollte, die sich einen Dreck um ihn und seinen Respektsanspruch scherten, das wollte ihm partout nicht in den Kopf.

Auch Rodoin fuhr sich nachdenklich mit einer Hand durch den Bart. Am Ende seufzte er. "Wir können sie kaum daran hindern, sich an der Jagd zu beteiligen; ihre Herden sind so bedroht wie unsere oder die unserer Hörigen in Cheldheim. Und vielleicht ist es gar nicht von Übel. Wir haben nur wenige Männer, und jemand muß hier bleiben und das Gut bewachen."

"Das kann doch Euer Neffe tun", grinste Hartger boshaft. "Er hat ja ohnehin noch Schlaf nachzuholen und wäre bei der Jagd gewiß nur eine Gefahr für uns alle."

"Sogar wenn ich drei ganze Tage und Nächte in Folge nicht geschlafen hätte", fauchte Fulcko zurück, "wäre ich immer noch wacher als du in deinen lichtesten Momenten." Er schaute hilfesuchend seinen Onkel an, brauchte sich aber keine Gedanken zu machen. Rodoin besaß Familiensinn genug, um seinen Neffen von dem Abenteuer nicht auszuschließen.

 

 

Das Gerücht von der bevorstehenden Jagd verbreitete sich wie ein Lauffeuer zwischen den riedgedeckten Häusern. Immer mehr Menschen versammelten sich vor und in dem Hof des alten Herzogsgutes: Hörige mit Speeren, Spießen oder im Gestrüpp geschnittenen Stäben, die sich als Treiber zur Verfügung stellen wollten, gelegentlich verfolgt von entsetzten Müttern und Ehefrauen, die sie davon abzubringen versuchten, daneben andere Frauen, die ihre zögerlichen Gatten am Ärmel der Tunika hinter sich her zogen und sie keifend ermahnten, sich gefälligst ebenfalls zu melden, wenn es die Nachbarn auch täten. Der Hilfspriester Gumpert, von dem lautstarken Geschrei aus seinem weinseligen Schnarchen gerissen, erschien ebenfalls, entzündete eine Kerze und radebrechte in seinem bekannt eigenwilligen Latein ein Gebet oder einen Segen oder einen Psalm, um nach dieser Anstrengung ins Salhaus zu staksen und sich mit einem Becher zu stärken.

Die freien Bauern des Orts, die zum großen Teil auf der anderen Flußseite wohnten, empfanden es als Ehrensache, sich selbständig und mit eigenem Gefolge an der Jagd zu beteiligen, und sei es nur, um ihren Rang als Freie zu betonen; allerdings bestand dieses Gefolge meist nur aus einigen Knechten und einem halben Dutzend zottiger Hofhunde, die das hektische Hin- und Herrennen der Zweibeiniger in schwanzwedelnder Verwunderung betrachteten. Wer zu alt war, um sich an der Jagd zu beteiligen, der fand sich wenigstens ein, um seine Meinung zur Sache und einige weise Ratschläge ins Stimmengewirr zu werfen, und wer noch zu jung war, der balgte sich zwischen den Beinen der Erwachsenen mit seinen Altersgenossen in einem Kampf voll Bärengebrüll, Angriffs- und Wehgeschrei, der die bevorstehende Jagd bereits vorwegnahm.

Es dauerte nicht lange, und der Zug der Fagana mit Wettilo an der Spitze kam vom befestigten Gut im Südwesten herüber, Wettilo und zwei seiner Leute zu Pferd, die Hundeführer mit den schlanken, aufgeregt hechelnden Hunden zu Fuß. Der junge Adlige nickte Fulcko kurz zu, als er an ihm vorbei ritt, aber das war alles. Der Franke wußte nicht, ob der Grund für dieses distanzierte Verhalten an Wettilos Befangenheit lag - immerhin wußte Fulcko als einer von wenigen tatsächlich über alles Bescheid, was im letzten Frühjahr geschehen war -, oder an Fulckos Freundschaft zu Lantpert, in dem die Adelssippe der Fagana einen haßerfüllten Gegner sah.

Lantpert wiederum kam bald danach, auch er hoch zu Roß, in Begleitung seines Freundes Indeo und dessen Gefolgschaft sowie, zu Fulckos Verblüffung, in der des alten Knechts Penzo, der auf einem grobknochigen Grauschimmel hinter seinem Herrn her ritt und in einer schwieligen Faust die Leinen der kostbaren Jagdhunde hielt. Fulcko hatte den wortkargen Alten noch nie außerhalb von Lantperts Gut gesehen und heimlich angenommen, Penzo sei mit unsichtbaren Wurzeln fest dort im Boden verankert.

Die Dorfhunde im übrigen bellten und knurrten und gebärdeten sich beim Anblick der fremden Hunde wie wild. Diese eigenartigen Tiere, die der Fagana und der Iudex da mitgebracht hatten, sahen schon äußerlich anders aus als die schwarzscheckigen Hüte- und Wachhunde, die in halbwilden Rudeln den Ort bevölkerten, schmaler, hochbeiniger, mit runden Ohren und glänzendem, kurzem Fell von der schimmernden Färbung hellen Sands. Doch so sehr die einheimischen Hunde diese Fremdlinge auch anknurrten: sowohl Lantperts wie Wettilos Hunde schritten mit hoch erhobenen Köpfen zwischen ihnen hindurch; Könige, die sich vom Geschrei dieses zotteligen Pöbels nicht irre machen ließen.

Indeo dagegen hielt keine Hunde, obwohl er sich dank seines reichen Grundbesitzes durchaus eine Jagdmeute hätte leisten können. Der Bauernsohn hatte für derlei adlige Vergnügungen wenig übrig und war sicher lediglich deswegen mit zur Bärenhatz erschienen, um nicht in den Verdacht zu geraten, sich seinen Pflichten als Grundherr zu entziehen. Auch zu Pferd saß er nicht gern und entsprechend unsicher und schwankend; allerdings richtete er sich sofort und sehr rigoros im Sattel auf, als Fulckos Schwester Hiltrud aus dem Haus trat, um den versammelten Jägern vor dem Aufbruch einen Trunk zur Stärkung zu kredenzen. Lantpert beugte sich prompt zu ihm hinüber und zog ihn feixend deswegen auf.

Überhaupt schien der Iudex an diesem Morgen unerhört guter Laune. Leichtfüßig sprang er aus dem Sattel, lobte den Würzwein, den Hiltrud ihm reichte, und wog mit sichtlicher Anerkennung einen der Jagdspeere in der Hand, die man aus einem der Grubenhäuser hervorgeholt hatte. Keiner der beiden hätte es gern gehört, aber in ihrer Begeisterung für die bevorstehende Jagd standen Hartger und Lantpert einander in nichts nach. Viel hätte nicht gefehlt, und der Iudex wäre Fulcko höchst unzeremoniell um den Hals gefallen, als der Franke zu ihm hinüber schlenderte.

"Ist das nicht herrlich?" rief er ihm schon von weitem entgegen. "Das wird eine wundervolle Jagd. Sogar das Wetter ist gut. Der kann uns gar nicht entwischen. - Was für ein Pferd wirst du reiten, doch nicht etwa deinen alten Braunen?"

Er deutete auf Fulckos dürren Klepper, den soeben ein Knecht aus dem Stall führte.

"Ich hab kein anderes", erinnerte Fulcko mit leisem Seufzen. Der alte Gaul trottete unterdessen gemächlich hinter dem Unfreien her, richtete aber sofort die Ohren auf, als er Lantperts Stute erschnupperte. Er begrüßte sie in fast jugendlichem Übermut und begann, ihr zärtlich den Widerrist zu beknabbern.

Lantpert runzelte die Stirn. "Das mag ja mal ein ganz ordentliches Pferd gewesen sein, aber zu der Zeit hat wahrscheinlich Pippin noch regiert. Andererseits, wenn du Glück hast, ist so altes Pferdefleisch dem Bären vielleicht zu zäh... Warst du überhaupt schon mal auf einer Bärenjagd?"

"Einmal, am Königshof", nickte Fulcko. "Eine große Jagd, der gesamte Hof war dabei. Wir sind mit unserer Gruppe eine Weile durch den Wald geritten, haben jede Menge Elstern, Eichelhäher, Eichhörnchen und Marder aufgestöbert, und dann haben von irgendwo die Hörner verkündet, daß der König den Bären anscheinend erlegt hatte, und wir konnten wieder nach Hause reiten."

Lantpert lachte laut. "Armer Kerl. Weißt du nicht, daß der Bär immer da auftaucht, wo der Anführer der Jagd ist? - Bleib diesmal einfach bei mir. Ich halte jede Wette, daß meine Hunde den Bären schneller aufstöbern als die der Fagana."

Er warf einen verächtlichen Blick hinüber zur anderen Hofseite, der von den Hundeführern dort in ähnlich geringschätziger Weise erwidert wurde.

"Wettilo hat mehr Hunde", gab Fulcko zu bedenken. Lantpert schnaubte geringschätzig.

"Ganz egal, wieviele es sind - wir haben die besseren. Und den besten Hundeführer und Fährtensucher." Er deutete mit dem Kopf auf den schweigenden alten Knecht.

"Penzo?" staunte Fulcko. "Ich weiß ja, daß er bei dir außer Kochen, Waschen und Spinnen so ziemlich alles machen muß, aber..."

"Penzo hat schon dem Herzog als Jagdaufseher gedient", mußte der Franke sich belehren lassen, und bei diesem schlagenden Argument war natürlich, zumindest aus Lantperts Sicht, jede weitere Diskussion überflüssig.

 

 

Die Sonne war schon weit Richtung Zenit geklettert, ehe der Jagdtrupp in Richtung des kleinen Hörigendorfes Cheldheim aufbrach. Herr Rodoin legte großen Wert darauf, noch vor dem Mittag fortzukommen; er wußte gut, wenn sich seine versammelte Schar erst einmal zum Essen niederließe, würde er die Jagd heute wahrscheinlich überhaupt nicht mehr beginnen können. Die Zahl der Teilnehmer war, dem Anlaß entsprechend, überaus beachtlich. Wenn man sich den gewundenen Zug ansah, der sich allmählich aus dem nördlichen Tor in den Palisaden schlängelte, hätte man glauben können, es gelte den Überfall einer ganzen Heeresmacht abzuwehren.

Lantpert hatte sich stur an Fulcko gehalten und sich dadurch den Platz direkt hinter Rodoin und Hartger gesichert, die nebeneinander den Trupp anführten. Hinter Fulcko saß der grimmige Penzo auf seinem Grauschimmel und rief den neben den Pferden her laufenden Hunden gelegentlich ein scharfes, aber immer einsilbiges Wort der Ermahnung zu. Wettilo und seine Gruppe hatten sich dahinter einreihen müssen, vermutlich höchst erbost über diese Zurücksetzung; dennoch bildeten sie natürlich die prunkvollste Abteilung.

Indeo und seinen Leuten ließ man noch respektvoll den Vorrang. Aber dahinter löste sich jegliche Ordnung auf. Zwar versuchten die freien Bauern der Gegend durchaus, sich den ihnen ihrer Meinung nach zustehenden Platz im Zug zu sichern, aber meist endete das in deftigen Ellenbogenpüffen und dem Austausch derber Ausdrücke. Daß außerdem alle paar Schritte jemand nach links oder rechts springen mußte, um ein paar übermütige Hörige zu trennen, die mit ihren Treiberstöcken eine Art Stabfechten begonnen hatten, oder einen Hund einzufangen, der die Jagd eigenmächtig bereits begonnen hatte und laut bellend hinter einem Eichhörnchen her setzte, trug nicht wirklich zur Marschordnung bei.

Dennoch schaffte Herr Rodoin es, seine Jagdgesellschaft in einem halbstündigen Fußmarsch nach Cheldheim zu bringen, ohne daß es zu größeren Unfällen gekommen wäre. Bilios und seine beiden Begleiter waren vorausgeeilt und erwarteten die Jäger, zusammen mit einer Gruppe aufgeregt durcheinander redender Verwandter, am Ortseingang.

"Hier entlang", winkte der Unfreie Rodoin beiseite. "Da drüben sind die Weiden, auf denen der Bär zugeschlagen hat."

Er führte sie ein wenig abseits Richtung Nordosten, weg von den geflochtenen Zäunen, mit denen die Gemüsegärten und Hirsefelder der Unfreien voneinander abgegrenzt waren, auf eine kleine Lichtung. Es war eine fast kreisrunde Senke, die die Sonne der letzten Tage fast völlig vom Schnee befreit hatte, rundum von lockerem Gesträuch und Gebüsch umgeben und auf der einen Seite von einem tiefen Graben begrenzt, der im Frühling sicher Wasser zur Semida trug. Im Moment lag er trocken und von braunem Schilfgestrüpp überwuchert vor ihnen.

Die Lichtung sah auf den ersten Blick friedlich genug aus. Wäre da nicht der von Schafen und Menschen völlig zertrampelte Grund gewesen, und der blutige Schädel in der Mitte des Platzes. Er lag auf dem Boden wie eine makabere Opfergabe und blickte aus erstaunten toten Schafsaugen auf die Schar der Rächer, die da durch das Buschwerk heran stolperte.

"Hier", sagte Bilios, und deutete auf einige blutgetränkte Schneereste am Rande des Platzes. "Wir hatten die Schafe über Nacht im Freien gelassen, weil das Wetter mild war und die Tiere diesen windgeschützten Ort nicht freiwillig verlassen hätten. Als die Hütejungen jedoch heute morgen hierher kamen, fanden sie die Schafe rundum zerstreut, und vier davon fehlten."

"Hattet ihr keine Hunde hier gelassen?" wollte Wettilo wissen. Bilios nickte bedächtig.

"Doch, natürlich, junger Herr. Aber auch von ihnen fehlt jede Spur. Vielleicht hat der Bär sie ebenfalls getötet und gefressen, oder sie sind geflohen. Wenn sie anschlugen, so hat es jedenfalls niemand im Dorf gehört."

Fulcko tat es seinem Oheim nach und ließ sich gemächlich aus dem Sattel gleiten. Dabei schaute er aufmerksam Richtung Lantpert. Der Richter schien diesen Blick nicht zu bemerken. Oder wollte es nicht. Stattdessen saß er noch eine Weile stumm und scheinbar gedankenverloren im Sattel und musterte den blutigen Tierschädel, als halte er Zwiesprache mit ihm. Dann schüttelte er sich die Haare aus dem Gesicht, sprang betont munter von seiner Stute und klatschte in die Hände.

"Wo habt Ihr die Spuren gefunden, Bilios?" fragte er. Der Hörige winkte ihn zur Seite, dort, wo unter einigen kahlen Holundersträuchern der meiste Schnee liegen geblieben war. Auch Fulcko trat mißtrauisch näher. Wirklich zeichneten sich im Schnee, neben einigen Blutspritzern, mehrere Abdrücke einer riesigen Bärenpranke ab. Nicht weit davon fand sich sogar eine zweite, etwas deutlichere Fährte dort, wo Tauwasser den Boden in eine Schlammpfütze verwandelt hatte.

"Und das hier muß wohl die Stelle sein, an der er die Schafe durchs Gebüsch gezerrt hat." Bilios deutete auf einige gebrochene, fast auf den Boden niedergedrückte Zweige. Seine Zuhörer musterten die Stelle eingehend und bemühten sich, möglichst fachmännisch dabei auszusehen. Wieder warf Fulcko einen Blick Richtung Lantpert, und wieder fand er sich nicht beachtet. Der Richter strich sich über das bartlose Kinn, dann nickte er.

"Gut. Ich schlage vor, wir teilen uns auf, auf diese Art treiben wir ihn schneller aus seinem Versteck. Herr Rodoin..."

"Lantpert?" fragte Fulcko leise. Der Genannte unterbrach sich nicht einmal.

"Herr Rodoin, wollt Ihr wohl einen Teil der Bauern in östlicher Richtung..."

"Lantpert."

"Und Wettilo, geht Ihr mit Euren Leuten nach Westen, während ich und die übrigen nach Norden..."

"Kommt gar nicht in Frage", widersprach der junge Adlige sofort. "Ihr wollt wohl alle Jäger außer Sicht haben, um Euch den Bären alleine zu holen? Nicht mit uns. Wir gehen nach Norden, und Ihr sucht gen Westen."

"Nun gut, wie Ihr wollt. Achtet aber auf alle Fährten und auf alle geschützten Gehölze, in denen das Tier sein Lager haben könnte. Und vergeßt nicht..."

"Lantpert!" Diesmal wirbelte der Gerufene herum.

"Was?" fauchte er. Fulcko starrte zurück.

"Kann ich dich kurz sprechen?"

Der Richter seufzte tief. Dann trottete er brav zu dem Franken hinüber.

"Was soll das?" fragte Fulcko leise. Lantpert schaute trotzig geradeaus.

"Was meinst du? Wir organisieren eine Jagd."

"Die Jagd fällt aus."

"Warum?" Lantpert verschränkte die Arme vor der Brust. "Wir haben ein totes Schaf, wir haben Jagdspeere und Jagdhunde und wir haben eine Bärenfährte. Und jetzt gehen wir auf Bärenjagd."

"Du weißt so gut wie ich, daß das kein Bär war."

"Weißt du, wie lange ich auf keiner großen Jagd mehr war?" beschwerte sich der Iudex, und es klang fast weinerlich. "Wahrscheinlich werde ich nie wieder auf eine gehen."

"Es gibt hier aber nichts zu erlegen."

"Ist doch egal. Das weiß ja keiner."

"Ich weiß es, alle, die schon mal mit einem Bären zu tun hatten, wissen es, sobald sie die Augen aufmachen, und ich denke, Bilios weiß es auch." Fulcko warf einen Blick auf den Hörigen, der sich inzwischen zu seiner Sippe gesellt hatte und gelegentlich in seinem altertümlichen Dialekt ein paar Worte mit ihnen wechselte. An Bilios' Gesicht war selten etwas abzulesen, aber dennoch war Fulcko sich sicher, daß der Unfreie das Ränkespiel ebenso durchschaut hatte wie der Franke. "Und Penzo", fügte er mit einem Blick auf den Knecht hinzu, der die Hunde ein wenig an der angeblichen Bärenfährte hatte schnüffeln lassen. "Nicht wahr, Penzo?"

"Kein Bär", brummte der Alte. Die zwei Silben waren alles, was er für die Angelegenheit an Atem verschwenden würde. Lantpert schaute ihn bittend an, aber als der Knecht ungerührt den Kopf hin und her bewegte, seufzte er erneut und drehte sich zu Rodoin um.

"Also gut. Euer Neffe hat mich überzeugt, Herr Rodoin. Es wird keine Jagd geben müssen, weil es hier keinen Bären gegeben hat."

Diese Behauptung wurde mit vorstellbarer Entrüstung quittiert. Lantpert zuckte die Achseln. "Seht euch die Fährte ruhig noch einmal an. Die Schrittlänge des Bären stimmt nicht. Ein Tier mit solch riesigen Tatzen, das entsprechend groß ist, müßte weit längere Schritte machen. Und es ist jedes Mal dieselbe linke Pranke, deren Abdruck man sieht. Offenbar hat dieser Bär nur ein Bein. Der Schafsschädel ist nicht aufgebrochen, und doch lieben Bären nichts so sehr wie das Gehirn ihrer Beute und verzehren es stets zuerst. Hier ist viel zu wenig Blut, und auch von den Überresten der getöteten Hunde und Schafe ist nichts zu sehen. Weshalb sollte der Bär sich die Mühe machen, ein Tier nach dem anderen von hier fortzuschleifen? Will er Vorräte in seinem Keller anlegen? So etwas tun nur Menschen."

"Ihr haltet es also für Menschenwerk?"

"Für frechen Diebstahl", nickte der Iudex, "den man einem Tier unterzuschieben versuchte. Sicher hat der Dieb die Geschichte von dem Bären aus Deoinga gehört und kam dadurch auf die Idee."

Die allgemeine Empörung machte sich in heftigen Beschimpfungen Luft. Bilios dagegen nickte, als der Richter ihm einen fragenden Blick zuwarf.

"Das war auch unsere Einschätzung. In eine Gegend, die so dicht besiedelt ist wie die unsere, verirren Bären sich selten. Wenige Leute wissen daher noch, wie ein solches Tier sich verhält. Ich selbst habe den letzten Bären als kleiner Junge gesehen. Daß gleich zwei Bären in nur einem Winter bei uns einfielen, erschien uns von Anfang an wie ein seltsamer Zufall."

"Und doch hast du uns von deinem Verdacht nichts erzählt?" Rodoin musterte den Unfreien streng, aber der verneigte sich stumm.

"Wir sind Unfreie. Einen solche Beschuldigung zu äußern, stünde uns nicht zu, Herr." Lantpert hinter ihm verdrehte die Augen zum Himmel und sagte nichts.

"Hast du einen konkreten Verdacht?" fragte Fulcko. Bilios hob die Schultern.

"Gegen einen Freien wohl", folgerte Lantpert. "Nun, wir werden schon ebenfalls darauf kommen. Mir geben die Hunde zu denken."

Bilios lächelte spöttisch. "Ja, uns auch. Ihr müßt wissen, daß wir im vorigen Herbst einen Fall von Hundswut hatten. Wir mußten viele unserer Hütehunde vorsorglich töten."

"Habt ihr euch neue beschaffen können?"

"Das mußten wir."

"Und diese neuen Hunde kamen woher?"

"Von einem Bauern, der seit kurzem ein wenig nordöstlich von hier lebt. Ihr werdet die Hütten kennen, die ich meine."

Fulcko kannte die Ansiedlung tatsächlich, auf die Bilios anspielte. Eine kleine Ansammlung unsauber gezimmerter Häuser, deren Bau niemand gestattet hatte und deren magere Bewohner man kaum kannte. Kleine Felder und Gärten wurden angelegt, eine Weile gepflegt und verfielen wieder, Vieh wurde von einem Ort zum nächsten getrieben, bevor die geschädigten Bauern, deren Wiesen dabei abgeweidet wurden, Zeit hatten, sich zu beschweren. Die Abgaben wurden mal gezahlt und mal nicht, aber sobald der erste Centenniar nach dem Rechten sehen wollte, konnte er sicher sein, daß die Nachbarn über die säumigen Schuldner nur zu sagen wußten, daß sie wohl fortgegangen seien, oder vielleicht auch gestorben und irgendwo im Wald verscharrt. Die Häuser standen von einem Tag auf den anderen leer, dafür wuchs ein paar Meilen weiter eine neue Hütte in die Höhe, sooft das Eigentum an einem Stück Land strittig oder ein Grundherr nicht wachsam genug war.

"Die Hunde waren gut?" wollte Lantpert wissen. Bilios nickte.

"Noch recht jung, aber klug und kräftig. Auch treu und anhänglich."

"So sollten Hunde wohl sein."

"Es muß ein guter Wurf gewesen sein. Von Hunden versteht der Mann mehr als vom Pflügen und Säen, heißt es."

"Der Name?"

"Brun."

"Wie passend", spottete der Iudex und schaute Fulcko an. "Was hältst du davon, daß wir uns den Mann einmal ansehen?"

"Natürlich werden wir das!" polterte Rodoin anstelle seines Neffen. "Seht Euch um! Wenn Ihr mit Eurem Verdacht recht habt, so hat dieser windige Dieb alle Orte rundum für nichts und wieder nichts in Schrecken versetzt. All diese Männer haben Ihre Arbeiten vernachlässigt, um ein gefährliches Raubtier zu erlegen, und nun erfahren wir, daß es sich um bloßen Raub handelt? Dafür wird dieser Mann uns Rede und Antwort zu stehen haben!"

Das zustimmende Gemurmel, das ringsum laut wurde, verhieß dem armen Kerl nichts Gutes. Daß man nun, da man allen Mut zusammengenommen hatte, auf dem Schlachtfeld stand und vergeblich auf den Feind wartete, wollte den Gefoppten gar nicht schmecken. Was sollte man den Daheimgebliebenen denn berichten? Nein, wenn man schon keinem Bären das Fell über die Ohren ziehen konnte, so würde dieser Schafdieb dafür herhalten müssen.

Ohnehin kein schlechter Tausch, denn von einem bloßen Dieb war weit weniger Widerstand zu erwarten.

"Ich vermute, es wollen alle mitkommen?" Lantpert kratzte sich in mühsam verborgenem Entsetzen im Nacken. Als rundum eifrig genickt wurde, beließ er es freilich bei einem Seufzen. Verbieten konnte er es schwerlich.

"Nun gut. Da wir einmal unterwegs sind. Erinnert euch aber: es ist kein Gerichtstag, daher kann kein Urteil über ihn gefällt werden. Aber womöglich wäre es kein schlechter Gedanke, den Mann festzusetzen, wenn er uns Schwierigkeiten machen will. Da seine Art so gerne verschwindet, wenn es brenzlig wird." So leise, daß es nur Fulcko hören konnte, setzte er hinzu: "Und unter fränkischer Bewachung wäre er hoffentlich vor bajuwarischen Prügeln sicher..."

 

 

Mit neu erwachtem Elan setzte der kleine Zug sich wieder in Bewegung. Die rechtschaffen erbosten Verteidiger des Orts schritten nun deutlich rascher aus als zuvor. Bilios und einer seiner Schwager führten sie eine gute halbe Stunde weit nach Norden und Osten, ins graue Niemandsland ein Stück fernab der alten Römerstraße. Hier war der Ackerboden schlechter als andernorts, auch was an Wald wucherte, lohnte nicht zur Bewirtschaftung, und die Bäche, die Richtung Semida flossen, änderten nach jedem Hochwasser ihren Lauf und überschwemmten gerne das halbe Ufer. Kurz, von den Herren der Gegend hatte niemand großes Interesse, und so duldete man stillschweigend die wilden Ansiedlungen, die hier kamen und gingen.

Vereinzelte Häuser, manche so alt, daß sie wohl schon zum dritten oder vierten Mal neues Volk beherbergten, machten den Buckel krumm unter ihren schweren Strohdächern. Die Gärten rundum lagen brach, viele Weidenzäune hatte der Winter niedergedrückt, und noch war keine helfende Hand zur Stelle gewesen, sie wieder aufzurichten. Aus halb offenen Türen lugten mißtrauische Augen dem herannahenden Zug entgegen, dann glitten hastig die Riegel ins Schloß.

Das einzelne Gehöft, das Bilios ansteuerte, versteckte sich hinter einer Hecke aus wilden Schlehen und ein paar kümmerlichen Apfelbäumen, deren untere Äste man im Winter abgehackt hatte, um Feuerholz zu gewinnen. Zwei in den Boden eingetiefte Grubenhäuser dienten als Werkstätten oder Lagerräume, sahen aber nicht aus, als könnten sie nach diesem einen weiteren Winter überstehen. Das Wohnhaus konnte kaum mehr als einen einzigen Raum umfassen, so klein war es. Außerdem gab es einen Stall fürs Vieh und einen kleinen Schuppen, aus dem lautes Bellen zu hören war.

"Anscheinend hat Brun wieder Hunde", erklärte Bilios mit unbewegtem Gesicht. "Das wundert mich. Er verkaufte im Herbst all seine Tiere an uns bis auf die Mutterhündin."

"Und das da drin klingt nicht nach Welpen", bemerkte Lantpert. Das Jaulen aus dem Inneren des Schuppens nahm womöglich noch an Lautstärke zu, als die Hunde die menschlichen Stimmen vor dem Tor hörten.

"Willst du nicht aufmachen, Bilios?" fragte Rodoin. "Ich habe so eine Ahnung, daß die Hunde da drin den deinen recht ähnlich sehen."

"Wenn Ihr es befehlt, gern. Aber auf das Eigentum eines Freien will ich die Hand sonst nicht legen."

"Du hattest deinen Befehl, Bilios", sagte Lantpert. "Laß mich dir eines sagen: Du strapazierst meine Geduld heute ziemlich."

Der Unfreie schnaubte spöttisch, stapfte hinüber zum Schuppen und zog den Riegel zurück. Heraus sprang ein halbes Dutzend braun-schwarz gefleckter Hunde, die typischen halbwilden Tiere, wie sie auch in Ardeoingas den Ort bevölkerten. Sie stürmten ins Freie unter lautem Gebell, drehten eine Runde auf dem Hof vor Freude darüber, dem dunklen Gefängnis entronnen zu sein, und scharten sich dann eifrig und schwanzwedelnd um Bilios und seine Leute aus Cheldheim.

"Eure Hütehunde?" erkundigte Lantpert sich, der Form halber.

"Sie sind es", nickte Bilios.

"Offenbar erinnerten sie sich gut genug an ihren ehemaligen Herrn, um sich von ihm fortlocken zu lassen", sagte Fulcko. Einer der Hunde beschnüffelte seine Hand, und der Franke tätschelte dem Tier nachlässig den breiten Schädel. "Dummes Vieh."

"Hunde sind treu", grummelte Lantpert. "Treue und Dummheit kann man nicht immer unterscheiden. Soviel hat euer Karl mich immerhin gelehrt. - Gehen wir und sehen uns diesen Brun an. Es kann ihm kaum entgangen sein, daß die halbe Grafschaft vor seinem Schuppen herumsteht."

Das konnte es in der Tat nicht, und unwillkürlich fragte Fulcko sich, warum der Schafdieb die Gelegenheit nicht längst beim Schopf gepackt und sich still und heimlich verdrückt hatte.

 

 

Er begriff es sofort, nachdem er sich hinter Lantpert in den einzigen Raum des Hauses geschoben hatte, in dem die Luft geschwängert war vom Rauch der Feuerstelle und trotzdem kaum wärmer als draußen. Auf einem Hocker mitten im Zimmer, die Hände den Flammen entgegengestreckt, saß eine hochschwangere Frau. Sie blickte auf mit dem gehetzten Blick derer, die von Fremden noch nie Gutes erfahren haben. Ein breitschultriger, dicklicher Mann mit struppigem Bart erhob sich von einer Bank und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter, ehe er sich zwischen sie und die Eingetretenen stellte. In der Ecke kauerte ein langaufgeschossener Halbwüchsiger, die Knie an den Leib gezogen und die Arme darum geschlungen, und warf düstere Blicke auf die Versammlung.

Keiner der drei hätte fliehen können, das Haus hatte nur die eine Tür, die hinaus auf den Hof führte, und diesen Ausgang versperrten nachdrücklich die entrüsteten Bärenjäger, von denen sich so viele in den Raum drängen wollten wie möglich. Dabei mußten sie den vornehmen Herren, Wettilo, Indeo und Rodoin als dem Anführer der Bewaffneten, den Vortritt lassen. Wer keinen Einlaß mehr erhielt, beschwerte sich wütend von draußen.

"Was wollt ihr?" fragte der Breitschultrige unterdessen grob.

"Bist du Brun?" hielt Lantpert dagegen.

"Wer will das wissen?"

"Ich bin der Iudex dieses Gerichtsbezirks." Er musterte den Mann aufmerksam. "Ich kann mich nicht entsinnen, dich je bei einem Gerichtstag gesehen zu haben."

Der Mann zuckte die Achseln. "Gewiß habt Ihr mich unter den vielen Leuten nicht bemerkt. Und ja, ich bin Brun. Also, was wollt Ihr?"

"Uns deinen Schafstall ansehen."

"Was gehen euch meine Schafe an?"

"Ein Bär hat vorige Nacht einige Schafe in Cheldheim geraubt." Lantpert schmunzelte. "Wir hätten gerne nachgesehen, ob er sie zufällig in deinem Stall untergestellt hat, so wie er die Hunde, die in derselben Nacht verschwanden, anscheinend in deinen Schuppen sperrte."

Der Junge in der Ecke entwirrte seine langen Glieder und schraubte sich auf die Füße, die Hände wütend geballt. "Schimpft Ihr uns etwa Diebe?"

Der Bärtige, vielleicht sein älterer Bruder, schnippte ungeduldig mit den Fingern. "Halt den Mund, Dummkopf. Du siehst doch, wie es steht." Er drehte sich wieder zu dem Richter um, seine Schultern sackten ein wenig herunter. "Geht hinaus und holt euch die Viecher. Jetzt ist doch alles gleichgültig. Sollen mein Weib und das Kleine eben verhungern. Aber zuvor nehme ich mir einen Strick, soviel will ich euch sagen." Seine Hand krampfte sich kurz um die Schulter der Frau, die leise zu weinen begonnen hatte und das Gesicht hinter ihrem Schleier verbarg.

Lantpert schaute das Paar eine Weile an, dann fragte er Fulcko: "Warum ist so etwas eigentlich nie einfach?"

"Du bist der Richter", spöttelte der Franke. "Du bräuchtest es dir nur einfach zu machen."

Der Iudex wendete sich zu Rodoin um, sprach aber so laut, daß man ihn sicher auch außerhalb des Hauses hören konnte. "Ihr seid der Vertreter des Königs hier. Der Mann hat seine Schuld bereits eingestanden. Ihr könnt Bilios und die übrigen Hörigen anweisen, die Schafe nach Cheldheim zurück zu treiben. Würdet Ihr mir allerdings gestatten, Brun bereits vor dem Gerichtstag einige Fragen zu stellen?"

"Solange Euch das Gespräch mit dem Strolch nicht zuwider ist." Auch Fulckos Onkel mochte Gefallen gefunden haben an der Art, wie der hiesige Richter mit Problemen umging. Das Ergebnis war selbst im schlechtesten Fall wenigstens unterhaltsam. Er trat einen Schritt zur Seite und verschränkte erwartungsvoll die Arme vor der Brust.

"Woher kommt ihr?" wendete Lantpert sich wieder an Brun. Der preßte die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.

"Gut. Vielleicht ist es ohnehin besser, wir wissen es nicht. Nur so viel: Sind euch Leute auf der Fährte? Verfolgt man euch?"

Der Mann seufzte. "Ich denke, nicht mehr."

"Hoffen wir es. Warum hast du die Schafe gestohlen?"

"Unsere eigenen gingen ein." Brun hob die Schultern. "Von dem, was wir im Herbst für die Hunde bekommen hatten, tauschte ich ein paar Schafe ein, zusätzlich zu den zweien, die wir hatten. Aber dann reichte uns über den Winter das Futter nicht für alle; sie wurden dünn und schwächlich. Als die ersten erkrankten, steckten sie die anderen an. Ich verstehe nichts von der Feldarbeit, wie Ihr wohl merkt. Ich war Händler, und mein Bruder hier half mir. Wegelagerer haben uns ausgeplündert bis aufs Hemd, auf einem Alpenpaß. Daß wir mit dem Leben davonkamen, war wohl ein Versehen."

"Siehst du?" Lantpert fuhr zu Fulcko herum und stieß einen Finger in die Luft. "Darum könnte sich euer Karl mal kümmern. Statt alle paar Wochen zum Krieg gegen die Sachsen zu rufen."

"Wenn ich mich richtig erinnere, war bis zum vorigen Jahr noch euer Tassilo für die Alpenpässe zuständig", gab Fulcko seelenruhig zurück. "Und hat auch nichts zuwege gebracht." Aus Wettilos Ecke kam ein höhnisches Schnauben, aber der Iudex wischte den Einwand mit einer ungeduldigen Geste beiseite.

"Ihr könnt Herrn Rodoin bitten, euch eine Ziege vom Gut des Königs herüber bringen zu lassen", wendete er sich wieder an Bruns Familie. "Als milde Gabe. Damit euer Kind nicht hungern muß, wenn es erst auf der Welt ist. Und sagt um Gottes willen wenigstens der Hebamme Bescheid, oder soll dein Weib ihr Kind ohne Hilfe zur Welt bringen wie ein Tier im Gebüsch? Was alles Andere angeht: im Ort gibt es im Frühjahr immer zu tun, wenn du mit ein paar Eiern und einer Mahlzeit als Lohn zufrieden bist." Er faßte die Frau ins Auge. "Du warst einmal jemand. Vermute ich richtig?"

Das verhärmte Gesicht hob sich in einer Mischung aus Wut und Stolz. "Jetzt bin ich niemand mehr."

"Das ist deine Entscheidung. Aber zu spinnen und zu nähen hast du wohl gelernt?"

"Das und einiges andere."

"Dann wirst auch du dein Teil tun können, und sei es, daß du die Gerberei-Abfälle zu Grobzeug verarbeitest. Hört auf, euch hier zu verkriechen wie Gesindel, zeigt euch im Ort, und ich will bei den Bauern und im Gut für euch bürgen." Er unterbrach den Bärtigen, als der zu einer Entgegnung ansetzen wollte. "Das ändert nichts daran, daß Herr Rodoin gegen dich Klage erheben kann und wird. Du wirst Buße leisten müssen, Brun, und keine geringe. - Ah, eins noch. Die Bärenspuren. Wie habt ihr die gelegt?"

Der Mann knirschte mit den Zähnen, ehe er eine wegwerfende Geste machte. "Nun wohl. Dann mag alles auf den Tisch kommen. Mögt Ihr mich auch noch wegen Verunreinigung eines Heiligtums vor Gericht stellen. Auch das will ich tragen." Er ging in die Ecke des Raumes und scheuchte den trotzigen Jungen mit einer Handbewegung zur Seite. Aus einem Bündel Kleider und Decken holte er etwas hervor, das von Ferne wie ein zusammengerolltes Stück Fell aussah. Erst als Brun es Lantpert hinhielt, konnte Fulcko erkennen, daß es eine riesige, präparierte Bärentatze war, echtes Bärenfell, das über einen Holzkern gezogen und mit Krallen verziert war. Ein wenig schäbig war sie schon geworden an manchen Stellen, aber doch ein schön gearbeitetes Stück, das sehr echt wirkte.

Lantpert betrachtete es verblüfft. "Woher hast du das?"

"Es ist eine Reliquie", erklärte Brun. "Ein Mönch aus einem Kloster, das dem Heiligen Gallus geweiht ist, hat sie mir vor Jahren verkauft, zum Schutz gegen Überfälle. Ich war wohl nicht würdig, sie zu tragen, da sie mir ihren Segen versagte, und nun, da ich sie benutzte, um einen Diebstahl zu begehen, habe ich ihren Schutz endgültig verloren."

"Hat der Mönch dir erzählt, was es damit auf sich haben soll?"

"Gewiß. Es war wohl so, daß der Heilige mit einem Gefährten sich auf der Reise befand. Sie suchten einen Ort für ein Kloster. Als sie sich eines Abends zum Schlafen niedergelegt hatten, geschah es, daß ein riesiger Bär ihr Lager überfiel. Aber der Heilige sprang auf, hob seinen Stab gen Himmel, rief Gott an, und aus dem Himmel fiel unter Donnergrollen ein Blitzstrahl, der den Bären zu Asche verbrannte. Allein diese Tatze blieb übrig zur Erinnerung an das Wunder."

Beifälliges Gemurmel erhob sich rundum. Heiligenlegenden waren beliebt, und eine, bei der unter Blitz und Donner ein Ungetüm erlegt wurde, war ganz nach dem Geschmack der Zuhörer. So etwas konnte man über einem Humpen Bier den Nachbarn weitererzählen. Brun hatte, ohne es zu ahnen, etliche seiner Widersacher soeben milder gestimmt.

Einzig Lantpert schien nicht zu wissen, ob er weinen oder lachen sollte. "Ich fürchte, man hat dich zum Narren gehalten, Brun. Was gut ist für dich, in diesem Fall. Dieses Ding ist sicherlich keine Reliquie, ebenso wie der Mönch, mit dem du den Handel getätigt hast, sicher ein Schwindler war, und so kannst du keine Entweihung begangen haben."

Bruns Gesicht verfinsterte sich. "Woher wollt Ihr das wissen?"

"Glaub's ihm einfach", riet Fulcko aus seiner Ecke. "Sonst fängt er wieder an, von Büchern und Schriftrollen zu reden und von Leuten, die seit fünfhundert Jahren tot sind und deren Namen man nicht aussprechen kann ..."

Lantpert starrte ihn an. "Manchmal tut ihr gerade so, als ob es euch körperlich schmerzt, wenn man versucht, euch etwas beizubringen. - Hör zu, Brun. Ich stand in früheren Zeiten in Kontakt mit dem großen Kloster von Luxovium und habe von dort auch viele Schriften bezogen. Darunter war eine Lebensbeschreibung des Heiligen Gallus. Du hast recht, im Leben des Heiligen gab es ein Wunder, bei dem ein Bär eine Rolle spielt. Jedoch ereignete sich etwas ganz Anderes."

"Siehst du? Jetzt ist's zu spät. Jetzt hört er nicht mehr auf."

"Als der Heilige sich, wie du beschrieben hast, zu seinem Nachtlager ausstreckte, überfiel tatsächlich ein großer Bär das Lager. Gallus jedoch erhob sich, betete zu Gott und befahl dem Bären, ein wenig Holz ins Feuer zu werfen. Der Bär gehorchte. Dann befahl Gallus dem Tier, aus dem Tal fortzugehen und nicht wieder zurückzukehren, und der Bär wendete sich um, lief fort ins Unterholz, und niemand hat ihn mehr gesehen."

"Das ist alles?" fragte Brun, als der Richter verstummte. Auch die übrigen Zuhörer wirkten enttäuscht. Die Sache mit dem Blitzschlag hatte ihnen besser gefallen.

"Ja, das ist alles, Brun. Und da der Bär alle seine Tatzen mitnahm, als er davon lief, kann diese hier", er wog die angebliche Reliquie in der Hand, "nicht von jenem Bären stammen. Auch wenn es zweifellos ein gut verarbeitetes Stück ist."

Brun machte ein Gesicht, als wolle er ausspucken. "Dann behaltet sie von mir aus! Werft sie auf den Mist oder gebt sie Euren Hunden! Ich will sie nicht mehr anfassen."

Lantpert zuckte die Achseln, klemmte sich die Bärenpranke aber anstandslos unter den Arm. "Wird gewiß hübsch aussehen in der Stube."

"Womit wenigstens einer hier etwas von einem Bären mit nach Hause brächte", stichelte Fulcko, und der Iudex machte Anstalten, mit der Tatze nach ihm zu schlagen.

 

 

Sie verabschiedeten sich von Bilios und den Cheldheimern, die mit ihren wiedergefundenen Hunden und Schafen auf direktem Weg nach Hause zurückkehrten. Der Rest der Truppe marschierte nach Süden, Richtung Ardeoingas, wo man den Ort darüber in Kenntnis setzen mußte, daß das Raubtier, das zur Strecke zu bringen die Männer ausgezogen waren, auf eine gefälschte Reliquie zusammengeschrumpft war. Die tapferen Kämpfer wurden sich nicht einig, inwiefern sie ob dieser Entwicklung peinlich berührt sein sollten oder nicht - einerseits stand man, was die Heldentaten anging, weiterhin hinter den Deoingern zurück, und wer wollte das schon. Andererseits war eine ausgestopfte Bärentatze entschieden friedlicher und ungefährlicher als ein lebendiger Bär und fraß weit weniger Schafe, und auch das wollte bedacht werden. Im Schankhaus weitererzählen ließ sich die Geschichte vom einfältigen Schafdieb Brun ebensogut, und deretwegen hatte immerhin niemand sein Leben riskieren müssen.

Etwa auf halbem Weg nach Hause wurde den Männern die Entscheidung in dieser Frage abgenommen.

Es begann damit, daß Hartger austreten mußte. Zu diesem Zweck stellte er sich ein wenig seitlich an den Waldrand und kehrte den dahinstapfenden Männern der Höflichkeit halber den Rücken zu. Fulcko achtete ebenso wenig auf ihn wie irgendjemand sonst.

Der Molenheimer hatte den Gürtel kaum geöffnet und sein Geschäft begonnen, als aus dem Dickicht ein warnendes Grollen zu hören war. Verdattert machten die ersten Wanderer halt.

Das Grollen wurde zum Brüllen. Das Unterholz raschelte und bebte, Zweige krachten. Dann barst, keine drei Schritt von Hartger entfernt, ein graubraunes Ungetüm aus dem Gestrüpp in die Höhe, stemmte sich auf die Hinterbeine und fletschte gelbliche Zähne in einem blutroten Maul.

Keine Frage: es war wütend.

Kunststück, dachte Fulcko noch. Wer wollte sich schon gerne von Hartger ...

In diesem Augenblick geschahen viele Dinge gleichzeitig.

Hartger, noch immer mit heruntergelassenen Hosen, schrie. Der Laut ging im Wutgebrüll des Bären unter. Auch die Bauern hinter Fulcko kreischten. Ihre Hunde jaulten auf und schossen in alle Richtungen auseinander. Links und rechts von Fulcko flogen Wettilo und Lantpert mit ihren Jagdhunden heran, Jagdspeere in Händen, beider Gesichter hart und kantig - zwei Falken, die auf ihre Beute herab stoßen.

Und unter Fulcko verdrehte sein alter Brauner die Augen, schnaubte etwas, das sich wie eine Herausforderung anhörte, und fing an zu rennen.

Genau auf den Bären zu.

Fulcko saß im Sattel, hielt sich an seinem Speer fest und sah den gefletschten Rachen immer näher kommen. Er schrie auch, und im Nachhinein hoffte er, daß es sich nach einem Kampfschrei angehört hatte und nicht nach dem blanken Entsetzen, das es war.

 

 

Etwa eine Stunde später stellte eine kleine braune Hand, deren Fingerspitzen mit Tintenflecken verunstaltet waren, einen Tonbecher vor Fulcko ab.

"Da. Trink, du Wahnsinniger. - Euer Neffe ist vollkommen verrückt, Herr Rodoin." Lantpert schob Fulcko ein Stück zur Seite und zwängte sich neben ihn auf die Bank.

"Das hat er von seinem Vater", schmunzelte Fulckos Onkel, merklich zufrieden damit, wie der Neffe den Ruhm der Familie heute erhöht hatte.

In der Halle des Unfreien Rathard, in der zu besonderen Festtagen Bier und Wein ausgeschenkt wurde, ging es hoch her. Das Erlegen eines leibhaftigen Bären galt in jedem Fall als Festtag. Vom Herzogsgut waren mehrere Knechte herüber gekommen, um als Schankkellner auszuhelfen. Die Gäste traten sich auf die Füße und reckten die Köpfe, um einen Blick auf Fulcko zu erhaschen, und alle erzählten sie sich gegenseitig dieselbe Geschichte wieder und wieder. Sogar etliche Frauen hatte die Neugierde herbei getrieben. Wahrscheinlich sah es bei Chimmi, in der zweiten Taverne auf der anderen Flußseite, in der die freien Bauern ihr Bier tranken, nicht anders aus.

Lantpert konnte sich gar nicht beruhigen. "Reitet dieser Kerl schnurstracks auf einen Bären los!"

"So etwas habe ich noch nie gesehen", rief Wettilo, der sich den Platz Fulcko gegenüber gesichert hatte. Daß er und Lantpert miteinander sprachen, ohne sich anzuschnauzen, machte deutlich, wie verstört alle waren. "Wie beim Lanzenstechen!"

"Das war nicht ich, es war mein Gaul", sah Fulcko sich genötigt, einzuwerfen.

"Ja, der ist auch verrückt", erregte sich Lantpert. "Halt den bloß von meiner Stute fern."

Rodoin strich sich nachdenklich den Bart. "Als wir damals den alten Braunen für Fulcko kauften, behauptete der Händler, es handle sich um eines jener Tiere, die beim Feldzug König Karls gegen die Mauren mitgeführt wurden. Wir haben es für einen Versuch gehalten, den Preis in die Höhe zu treiben. Aber nun ..."

"Alt genug wäre das dämliche Vieh." Lantpert drehte sich um und winkte einen Hörigen herbei. "Schau nach, ob der verrückte Klepper von diesem verrückten Franken Wasser und Heu hat. Und gib ihm tüchtig Hafer, hörst du?"

"Nun hört endlich auf." Fulckos Wangen brannten vor Verlegenheit.

 

"Nichts da", spottete Wettilo. "Heute bist du der Held des Tages. Da mußt du durch."

 

"Ja, ein großer Held!" Aus dem Nirgendwo kam Hiltrud angeflogen, mit rot verweinten Augen und einer Miene, als wolle sie Fulcko schlagen. "Das würdest du wohl machen, hingehen und dich von einem Bären in Stücke reißen lassen, bloß um dazustehen wie ein Held, und deine einzige Schwester würdest du zurücklassen, unversorgt, unverheiratet, ein Waisenkind ohne Freunde ganz allein auf der Welt, und ..." Sie zog sich hastig den Zipfel des Kopftuchs vor die Augen, ließ ihren verdatterten Bruder sitzen und rannte aus der Tür.

 

"Sie ist ein bißchen erschrocken, als sie es gehört hat", nickte Rodoin schmunzelnd. Fulcko stand schon auf, um hinter Hiltrud her zu laufen, aber diese Aufgabe wurde ihm von Indeo abgenommen, der sich von seinem Platz neben Wettilo in die Höhe stemmte.

 

"Ich sehe mal nach ihr." Das Rot auf seinen Wangen konnte ebensogut der Aufregung und dem Wein geschuldet sein. Bevor er ging, drehte er sich kurz zu Fulcko um. "Warte nur ab, bis ich das Irmingard erzähle!"

 

Zugegeben: in Irmingards Augen als Held dazustehen, war keine unerfreuliche Vorstellung. Fulcko beschloß, alle Anflüge von Bescheidenheit auf später zu verschieben.

 

"Euer Freund hat jetzt drei Bärentatzen mehr als Ihr, Iudex", stichelte Wettilo unterdessen. "Und das passende Fell dazu."

 

"Wohl wahr. Aber meine Tatze ist eine Reliquie", spottete Lantpert, zu gut gelaunt nach der erfolgreichen Jagd, um irgendetwas krumm zu nehmen. Er legte seine Beute zwischen die Krüge und Becher auf dem Tisch, um sie eingehend zu begutachten.

 

"Beinahe", hielt der Fagana fest.

 

"Ach was. Ich hab einen bischöflichen Märtyrer in meiner Ahnenreihe, an mir ist alles eine Reliquie." Lantpert hob den Becher und deutete damit auf Hartger, der vor einigen großäugigen Mägden des Guts seine Version der Geschichte erzählte - wie er sich nämlich ganz alleine dem Bären entgegengestellt hatte.

 

"Ob er ihnen auch erzählt, daß er uns dabei den nackten Hintern entgegengestreckt hat?" rätselte Fulcko. Lantpert schnaubte, streichelte das schäbige Fell der gefälschten Reliquie und stieß mit dem Franken an.

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