(S.74 ff)

 

Sie kamen am späten Nachmittag wieder beim herzoglichen Gut an. In der Siedlung rundum herrschte noch geschäftiges Treiben, aber etliche der Arbeiter unterbrachen ihre Tätigkeiten, um Croso und nach kurzem Zögern auch seinen fränkischen Begleitern einen Gruß zuzuwerfen. Anscheinend gewöhnten die Leute sich an den Gedanken, daß diese Fremden ihre neuen Herren waren – oder ihnen war klar, daß sie momentan niemanden sonst hatten, der sie gegen Angreifer oder Plünderer beschützen konnte.

Der Wachdienst schien allerdings noch nicht besser zu klappen als gestern – auch heute war das Hoftor des Gutes unbewacht und weit geöffnet. Wo immer Hartger steckte, um die Sicherheit des Guts kümmerte er sich nicht – und den Richter beschattete er auch nicht. Denn der stand, als Fulcko und seine Truppe in den Hof ritten, in der Nähe des Salhauses und lachte und schäkerte mit einer Frau – einer Frau, bei der es sich bei genauerem Hinsehen um niemand anderen als Hiltrud handelte.

Na wunderbar. Die Dinge liefen immer besser. Von sämtlichen verdächtigen bajuwarischen Rechtsgelehrten, die es wahrscheinlich heimlich mit einem abgesetzten Herzog hielten und möglicherweise beim Verschwinden eines fränkischen Vasallen ihre Finger im Spiel hatten, mußte seine Schwester sich ausgerechnet denjenigen aussuchen, den Fulcko am wenigsten leiden konnte.

Fulcko sprang mehr aus dem Sattel, als daß er abstieg, und sein alter Brauner, an derart abruptes Absitzen nicht gewöhnt, trippelte ängstlich ein paar Schritte zur Seite. Was sein Reiter gar nicht mehr bemerkte, denn der stürmte schon über den Hof, um die traute Zweisamkeit rüde zu unterbrechen. Dabei ließ er sich von seiner Schwester nicht irre machen, die ihn glückselig anstrahlte, als sie ihn kommen sah.

Fulcko! Denk dir, Lantpert hat mir gerade...”

Hiltrud, geh ins Haus!”

Das Strahlen wich aus dem Gesicht seiner Schwester wie weggewischt. Diesen Tonfall schlug ihr Bruder ihr gegenüber sonst selten an – eigentlich nie, und schon gar nicht vor Fremden.

Aber, er hat...”

Ich habe gesagt, du sollst ins Haus gehen!”

Schön!” Hiltrud schnaufte heftig aus und wirbelte mit hochroten Wangen auf der Ferse herum, um Richtung Tür zu stapfen. „Dann benimm dich eben wie ein Mühlochse. Mir auch recht.”

Fulcko schaute ihr nach, bis die schwere Tür hinter ihr zugefallen war, dann drehte er sich nach dem Richter um, der ihn halb verblüfft und halb erheitert musterte.

Hör mal, Junge”, sagte der Iudex in versöhnlichem Ton, ehe der wütende Franke den Mund aufmachen konnte. Er sprach dabei wieder dieses perfekte, widerlich akzentlose Rhein-Fränkisch, das er anschlagen konnte, wenn er wollte. „Ich glaube, du verstehst da etwas falsch...”

Das zu beurteilen könnt Ihr ruhig mir überlassen”, grollte Fulcko. „Richter. Daß Ihr es wißt, ich will Euch nicht in der Nähe meiner Schwester sehen. Glaubt bloß nicht, daß wir Euer Gehabe nicht durchschauen. Wir sind Euch längst auf der Fährte, und sobald wir genug gegen Euch in der Hand haben, werdet Ihr Euch wünschen, Ihr hättet Euch zusammen mit diesem treulosen Verwalter aus dem Staub gemacht.”

Mit der Wirkung seiner Worte war Fulcko sehr zufrieden: Man konnte zusehen, wie das Gesicht des Rechtsgelehrten versteinerte. In einem Wimpernschlag war es nichts mehr als eine einzige, glatte Maske, an der nichts abzulesen war.

Ich fürchte, ich kann dir nicht recht folgen.”

Und ich glaube, Ihr versteht mich sehr genau.”

Eigentlich sollte es unmöglich sein, daß jemand, der gut einen halben Kopf kleiner als sein Gegenüber war, an seiner Nase entlang blickte und dem Anderen bei dieser Musterung das Gefühl gab, dieser Blick erfolge von oben herab. Wie er es machte, das ging über Fulckos Verstand, aber der Iudex schaffte es spielend.

Schön. Wie du meinst. In diesem Fall schließe ich mich der Ansicht deiner Schwester an.”

Ich glaube nicht, daß die Meinung von einem wie Euch mich interessieren muß”, schnappte Fulcko. Lantpert zuckte die schmalen Schultern.

Vielleicht interessiert dich ja Folgendes: Erstens, dein Onkel will dich sehen. Zweitens, euer rothaariger Wulfbert hat einen Boten geschickt.”

Hat man Adolar gefunden?”

Nein.” Und so betont gleichgültig, wie der Iudex diese Silbe aussprach, war Fulcko sich endgültig sicher, daß der Kerl etwas zu verbergen hatte. „Seine Leute wissen auch nicht, wo er steckt. Anscheinend ist der Mann tatsächlich verschwunden.”

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